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Der Mensch: Der falsche Fokus!

Sich zu sehr auf den Menschen zu fokussieren, führt zwangsläufig zum Scheitern jeder Transformation.


 
Peter Pröll

Keynote-Transkriptum "Agiler Kompass: Wieso agile Transformationen scheitern"
von Peter Pröll

Lesezeit: ca 8 Minuten

 

Wenn wir an Unternehmen und die Arbeitswelt denken, dann denken wir immer gleich an Menschen. Wenn etwas nicht klappt, wenn es Widerstände gibt, wenn nicht genug Engagement, Verantwortungsübernahme, Gemeinsinn, Mitdenken existiert, dann wird behauptet, dass die betroffenen Menschen das Problem sind, nicht die richtigen Werte haben, nicht das richtige Mindset haben, nicht genug Liebe mit in die Arbeit mitbringen und sich ändern müssen.

Dann wird gecoacht, die Kultur muss geändert werden, Werte werden vorgegeben, ein Mindset, eine bestimmte Haltung wird eingefordert, Menschen sollen dann abgeholt oder überzeugt werden, Menschen werden in Personalentwicklungsprogramme gesteckt. Mensch, Mensch, armer Mensch!

Und das läuft mir überall über den Weg.

Manche sprechen davon, dass es einen bestimmten Reifegrad braucht, um agil oder selbstorganisiert arbeiten zu können. Und ein Whitepaper einer agilen Beratungsfirma brachte es neulich auf folgenden Punkt: Für eine agile Transformation - so wurde behauptet - braucht man die richtigen Menschen.

All das empfinde ich als Irrsinn im wahrsten Sinne des Wortes. Wäre dem so, dann wäre das eine Gleichschaltung von Menschen und damit das Ende von Diversität und somit von Innovation und Wertschöpfung im Unternehmen. Glücklicherweise lässt sich der Mensch nicht ganz so schnell gleichschalten. Wenn aber eine solche Gleichschaltung nicht gelingt, würde das wiederum bedeuten, dass nur ein Bruchteil der Menschheit überhaupt für agiles, selbstorganisiertes Arbeiten geeignet ist und der ganze Traum von New Work und agilen Transformationen in der realen Welt gar nicht funktionieren könnte.

 

Der Witz an der ganzen Sache ist aber, dass wir zu kurz schauen. Orientieren wir uns an Luhmann (und es wäre hier schlicht dumm, sich nicht an Luhmann zu orientieren), gilt: Unternehmen bestehen nicht aus Menschen. Es ist die Interaktion zwischen Menschen und das Verhalten von Menschen, welches soziale Systeme, wie die Gesellschaft im Allgemeinen oder Unternehmen im Speziellen ausmachen.

Die Wertschöpfung in Unternehmen entsteht zwischen den Menschen durch Kommunikation und Kooperation. Wäre dem nicht so und würde Wertschöpfung bei einzelnen Menschen entstehen, so bräuchten wir keine Unternehmen, so könnten wir uns den ganzen Overhead sparen. Dann könnten wir am besten alle als Individuen und Solopreneure leisten. Wertschöpfung zwischen den Menschen ist, was in Unternehmen den Unterschied ausmacht. Dass uns das oftmals nicht bewusst ist oder wir es nur selten beobachten können, liegt an den ärmlichen Strukturen unserer Unternehmen, die wertschöpfende Kommunikation eher vermeiden, denn fördern.

Eigentlich kann uns daher egal sein wie der Mensch ist, solange das Verhalten stimmt. Doch hängt das Verhalten nicht vom Menschen ab?

Anfang des 20. Jahrhunderts war Kurt Lewin einer der ersten, die sich wissenschaftlich mit der Sozialpsychologie befasst haben. Es entstand die Feldtheorie, welche die Abhängigkeit des Verhaltens von den zwei identifizierten Hauptfaktoren beschreibt. 

Ein Faktor ist die Disposition des Individuums, die das Verhalten beeinflußt, Erziehung, Haltung und Werte. Also doch der Mensch? Überraschenderweise jedoch, beeinflußt dieser Faktor das Verhalten nur zum geringsten Teil! Im Wesentlichen ist es eben nicht die persönliche Disposition, welche unser Verhalten ausmacht, sondern der zweite Faktor, die Umgebung und die Regeln oder Prinzipien, die gelten und die Entscheidungsstrukturen, in die wir eingebettet sind.

Das hat folgende Konsequenzen:

  • Der Ansatz Menschen in ihrem Wesen verändern zu wollen, ihnen Werte aufzuzwingen, die sie leben sollen oder ein Mindset, eine gewisse Haltung zu fordern, ist eher langwierig und kostenintensiv. Unabhängig davon ist es übergriffig, generiert es Widerstand und die Erfolgsaussichten sind somit fraglich.
     
  • Die Umgebung, Prinzipien der Zusammenarbeit, das Setting lässt sich  hingegen sehr schnell verändern. So erhält man zumeist augenblicklich auch ein verändertes Verhalten. Das ist hoch effektiv und sehr effizient. Schon aus rein wirtschaftlicher Sicht sollte man sich daher für die Arbeit am System entscheiden und nicht für die Arbeit am Menschen.
     
  • Das Individuum können wir hingegen so sein lassen, wie es ist: individuell. Jede und jeder mit seinen eigenen Werten, Haltungen und jedermensch mit eigenen kulturellen, sexuellen, politischen, religiösen oder spirituellen Vorlieben und Neigungen. Und so kann sich jedermensch zu passender Zeit mit seiner Individualität wertschöpfend einbringen. Das ist die Grundlage für Innovation.

Diese Ergebnisse der Forschung von Lewin wurden seither mehrfach untermauert und immer wieder bestätigt. McGregor mit seinen Forschungen zum Verhalten in Unternehmen und Luhmann mit der systemtheoretischen Forschung nenne ich hier nur stellvertretend.

Kurz: Das Verhalten hängt nicht (nur) vom Menschen ab, sondern (insbesondere) vom System, den Rahmenbedingungen. Wenn ich mir wünschen dürfte, welche Kernaussage ihr aus dieser Keynote mitnehmt, dann ist es diese: Der Mensch ist nie das Problem!  Wann immer wir den Menschen an sich oder Individuen im Speziellen fokussieren, haben wir den falschen Fokus! An den Rahmenbedingungen, dem System sollten wir arbeiten.

Schauen wir uns die Rahmenbedingungen und die daraus resultierenden Verhaltensweisen einmal an.

Rahmenbedingungen sind meist durch Prinzipien definiert, nach denen wir zusammenarbeiten und interagieren und damit unser Verhalten bestimmen. Die allermeisten Unternehmen orientieren sich diesbezüglich immer noch an den Lehren von Frederick Winslow Taylor aus dem Jahre 1911. Der Bildungsstand der Arbeiterschaft war niedrig, Analphabetentum war die Regel, nicht die Ausnahme. Er baute daher ein hierarchisches Modell auf, in dem oben die gebildeten Manager mit Könnerschaft gedacht und Standards entwickelt haben. Diese Standards wurden dann ausgerollt und das System der zentralen, hierarchisch strukturierten Organisation sorgte perfekt für den Erhalt des Standards. Das war die Grundlage für effiziente Skalierung.

Diese Abspaltung des Denkens vom Handeln führt genau zu dem in dieser Situation gewünschten Verhalten. Wird etwas vorgedacht und vorgegeben, so folgt daraus ein passives Verhalten der Betroffenen, die ihrerseits nicht mitdenken müssen und Verantwortung auch nicht übernehmen. Die Veränderungsträgheit fördert den Erhalt von Standards. Das macht die Sozialtechnologie Management aus. Zentrale Denk- und Entscheidungsstrukturen - dazu gedacht, den Status quo aufrecht zu halten.

Nun, die Zeiten ändern sich fortlaufend und die Marktsituation hat sich seither stark geändert. Inzwischen wird Unternehmen genau das Gegenteil von dem abverlangt, was Management leistet. Nicht mehr Veränderungsträgheit, sondern agil und wendig zu sein ist der Schlüssel zum Erfolg. Doch anstatt diesem Fakt Rechnung zu tragen und die Sozialtechnologie Management abzulösen, dezentrale Entscheidungsstrukturen in Unternehmen konsequent und ernsthaft einzuführen, hält man überwiegend an Hierarchie und Machtgedöns fest und hofft, sich durch optimierten Umgang mit unpassenden Werkzeug noch zu retten. Hoffnungslos.

Und die agile Transformation soll das nun richten?

Wenn ich mir anschaue, was so im Namen von „agilen Transformationen“ passiert und welche „Weisheiten“ gepredigt werden, ist es für mich eher nicht verwunderlich, dass agile Transformationen gegen die Wand fahren. Solange Management-Prinzipien das System bestimmen, kann man keine Transformation durchführen. Agiler zu werden und dabei zentralisierte Entscheidungsstrukturen beizubehalten ist wie „dusch mich, aber mach mich nicht nass“.

Trotzdem hat sich eine ganze Industrie gebildet, die basierend auf kleinen Erfolgen auf Teamebene jetzt genau dieses Trockenduschen für ganze Organisationen verspricht! Da werden Transformationsteams gebildet, die dann vordenken und ausrollen. Und man wundert sich über Widerstände und das unerwartete Verhalten, was dann zu wirtschaftlichen Verlusten führt. Man hinterfragt das aber nicht weiter, man arbeitet nicht am System. Wir erinnern uns, duschen ja - aber nicht nass. Also bleibt es bei Vorgabe, bei Hierarchie. Stattdessen stürzt sich doch wieder auf den Menschen. Manager dürfen sich dann in agilem Leadership zertifizieren lassen. Mitarbeitende dürfen ein agiles Mindset adoptieren und müssen zukünftig mutig sein. Scrum wird skaliert, Teams dürfen sich also nicht selbst bestimmen und selbst organisieren, sondern eine Methode wird „ausgerollt“. Wertearbeit, Kulturarbeit, Mindset-Coaching, agile Führungskräfte. Skalierte Frameworks. Mensch, Mensch, Mensch! Das ist schlicht der falsche Fokus.

Re-Fokus! Auf das System! Und dazu braucht es den Willen, die Entscheidung und die Autorisierung der Unternehmer/innen oder des Vorstandes und dann die Arbeit am System. Dezentralisierung von Entscheidungsstrukturen. Fokus auf dezentrale Wertschöpfungsstrukturen. Da hilft dann aber kein Manifest für agile Software-Entwicklung. Hier brauchen wir Prinzipien zur Unternehmensführung, die eine umfassende Alternative zu zentralisiertem Management sind - beispielsweise den BetaCodex. Denn agil skalieren ist nicht die Antwort. Schauen wir uns agil skalierte Frameworks an, so können wir immer wieder erkennen, wie diese sich an zentralen Managementstrukturen orientieren, statt sie zu überwinden, so wie es nötig wäre.

Eine agile Transformation ist eben nur ein Treppenwitz.

 
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