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Die agile Bewegung ist gescheitert!

Über die Degenerierung einer an und für sich guten Idee durch ihre eigenen Protagonisten


 
Peter Pröll

 

Ein Artikel von Peter Pröll
Lesezeit ca. 8 Minuten

 

Verstehen sie mich nicht falsch. Von agilem Arbeiten bin ich leidenschaftlich und positiv überzeugt. Das agile Manifest umschreibt die Prinzipien, unter welchen State of the Art Softwareentwicklung möglich gemacht wird. Der Versuch jedoch, diese Art des Arbeitens in Unternehmen zu etablieren, muss zwangsläufig scheitern und eine ganze Bewegung steckt in der Sackgasse.

Wieso agiles Arbeiten nicht in Unternehmen passt

Agiles Arbeiten orientiert sich, zumindest in der Softwareentwicklung am Manifest für agile Softwareentwicklung. Dies besteht neben den vier Leitsätzen aus den zu unrecht weniger bekannten und oft fatalerweise weniger beachteten 12 Prinzipien. Das ist der gemeinsame Nenner und danach richten sich agile Frameworks wie Scrum, Kanban, XP und alle weiteren.

 

Inhalt der 12 Prinzipien des agilen Manifests sind unter anderem:

  • der Fokus auf motivierte Mitarbeitende, denen man Vertrauen entgegenbringt
  • Ausrichtung an Kundenanforderung
  • nachhaltiges Arbeiten in einem konstantem Tempo, welches über die Zeit gehalten werden kann (keine Überforderung)
  • die Betonung von sich selbst organisierenden Teams
  • Technische Exzellenz als Grundlage und Treiber von Agilität

Agile Frameworks wachsen darüber hinaus und verdeutlichen auf Basis dieser Prinzipien, welche Konsequenzen sich daraus ableiten. Wir finden hier nicht nur sich selbst organisierende Teams, sondern es gibt keine disziplinarisch Vorgesetzten mehr innerhalb der Teams.

Eine weitere Auffälligkeit ist, dass die agilen Prinzipien und die agilen Frameworks die Arbeit nur auf Teamebene betrachten. Das ist völlig ausreichend für den gewünschten Kontext der Softwareentwicklung.

Auch Organisationsformen (die Frameworks) von Unternehmen unterliegen konkreten Prinzipien. Das durchschnittliche Unternehmen von heute richtet sich nach den Prinzipien, die Frederick W. Taylor in seinem Werk “Scientific Management” 1911 definiert hat. Im Kern und an den Prinzipien hat sich seither nichts wesentliches geändert. Inhalt dieser Prinzipen ist unter anderem:

  • Fokus auf Effizienz und Skalierung
  • Planwirtschaft und Budgetierung
  • Controlling, nicht nur des Budgets, sondern auch der Menschen
  • hierarischer Aufbau einer zentral gesteuerten Organisation
  • Desintegration von Denken und Handeln - oben wird entschieden und unten umgesetzt

Diese Prinzipien sind geprägt durch Druckausübung als Steuerungsmechanismus (fixe Zielvorgaben, Deadlines). Sie widersprechen in wesentlichen Teilen den Prinzipien des agilen Manifest. 

Das Scheitern der agilen Bewegung

Die agile Bewegung ist gescheitert

Zwei sich direkt widersprechende Prinzipiensätze treffen in Unternehmen an der Grenze von agilen Teams zu tayloristisch geprägten Unternehmen aufeinander. Der Konflikt ist vorprogrammiert. Gehen sie auf Scrumtische, agile Meetups und andere Events der agilen Community. Die Zahl der Sessions zu Problemen an dieser Front ist nahezu endlos. 

Der Konflikt ist so groß, dass der Anteil der gescheiterten agilen Transformationen enorm ist. Je nach Quelle spricht man davon, dass 70-85% der Versuche agiles Projektmanagement einzuführen scheitern. Die restlichen 15-30% dümpeln vor sich hin und reiben sich an diesem Konflikt auf, statt ihr mögliches Potential auszuschöpfen.

Da die agilen Prinzipien maximal auf Teamlevel angesetzt sind und unternehmensorganisatorische Prinzipien unternehmensweit gelten, dürfen sie sich jetzt an fünf Fingern abzählen, welche Prinzipien das Rennen machen werden. Beginnen sie jetzt mit dem Fingerzählen!

Exkurs: Flache Hierarchien

Oft höre ich von Unternehmen, dass sie ja gar nicht so garstig sind. Die Hierarchien wären „sehr flach“ und ja, bei vielen Entscheidungen werden „doch auch die Mitarbeitenden gefragt“.

Kennen sie den Ausspruch “ein bisschen schwanger sein gibt es nicht”? In diesem Falle verhält es sich identisch. Eine flache Hierarchie ist immer noch eine Hierarchie und Grundlage für ein zentral gesteuertes Unternehmen. Mitarbeitende mit einzubeziehen und zu fragen ist eine andere Sache, als dezentrale Entscheidungen auf Basis von Kompetenz und Rollen zuzulassen.

Die agile Bewegung hat erkannt, dass die agilen Prinzipien den Kürzeren ziehen. Die logische Konsequenz aus Sicht der Agilistas ist, dass Unternehmen agiler werden müssen. Und hier beginnt das Buzzword Bingo.

Das agile Mindset

Agilistas behaupten, dass man es haben muss. Es ist zwingende Voraussetzung. Allein definiert ist es nirgends. Damit wird es zum ungreifbaren, nebulösen Konzept. Agiles Mindset hat man oder hat man nicht. Agilistas haben es natürlich. Und Betriebswirtschaftler haben es in der Regel nicht.

Für mich ist agiles Mindset inzwischen das Unwort der agilen Bewegung. Es bezeichnet wie kein anderes Wort die herrschende Ohnmacht. Es dient als die Generalentschuldigung: Wenn irgendwo nicht richtig agil gearbeitet wird oder werden kann, dann liegt es am fehlenden agilen Mindset.

Diese Hypnose funktioniert so gut, dass es inzwischen sogar Coaches für agiles Mindset gibt, die ernsthaft angefangen haben, an eben jenes Mindset zu glauben.

Tatsache ist: Sie brauchen kein agiles Mindset. Das Geheimnis der Konflikte über die man bei dem Versuch agil zu arbeiten tagtäglich stolpert, liegt in unterschiedlichen Prinzipiensätzen. Fertig. Aus. Es ist so simpel.

Alternative Prinzipien für die Organisationsentwicklung

Die Hilfe kommt aus einer (zumindest für Agilistas) unerwarteten Richtung. 1998 wurde in betriebswirtschaftlichen Kreisen eine Forschungsinitiative gegründet, welche anhand von Fallstudien untersucht hat, wie sich die Art der Budgetierung in Unternehmen auf deren Wertschöpfungsfähigkeit auswirkt. Das Ergebnis war, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen der Art der Budgetierung und der Wertschöpfung gibt und dass das größte Wertschöpfungspotential in Unternehmen realisiert werden kann, die gänzlich ohne Budgetierung arbeiten. 

Die Forschungsinitiative („Beyond Budgeting“) entwickelte darauf hin einen Prinzipiensatz von 12 Prinzipien, die die Bedürfnisse von Unternehmensorganisation und Betriebswirtschaft abdecken. Fallbeispiele, auf Basis derer diese Prinzipien entstanden umfassen die Schwedischen Handelsbanken, W.L.Gore, SouthWest Airlines, Toyota, dm-drogeriemarkt und weitere. Diese Prinzipien wurden im Laufe der Jahre weiter verfeinert und werden inzwischen unter dem Namen BetaCodex geführt. 

Der BetaCodex steht im klaren Gegensatz zum tayloristischem Ansatz und steht im Einklang mit dem agilen Manifest.

Dieser Einklang ist kein Zufall. Denn beide Bewegungen setzen auf den gleichen Grundlagen auf. Zu nennen sind insbesondere, jedoch nicht ausschließlich die Systemtheorie und das Konzept der selbstlernenden Organisation.

Die Quintessenz

Eine agile Transformation in klassisch organisierten Unternehmen kann nur in dem Maß funktionieren, wie es die Organisationsstruktur zulässt. Agile Frameworks werden dabei meist zu Methoden degradiert und agile Prinzipien so weit wie möglich beschnitten, da sie sich den Unternehmensprinzipien unterordnen müssen.

Damit eine agile Transformation vollumfänglich funktioniert und ein agiles Arbeiten wirklich möglich ist, benötigt es einen Prinzipienwechsel in der Unternehmensorganisation. Mit dem BetaCodex existiert ein Satz von 12 Prinzipien, die nicht nur in Einklang mit den agilen Prinzipien stehen. Unternehmen, die nach diesen Prinzipien aufgebaut sind, erzielen eine weit höhere Wertschöpfung und sind für einen komplexen Markt mit hoher Innovationsgeschwindigkeit viel besser aufgestellt.

Für agile Berater und Coaches gibt es keine Ausrede mehr, keinen Grund mehr, sich auf „agiles Mindset“ zurückzuziehen. Vorbei sollte die Zeit sein, in der man versucht die für Unternehmensanforderungen unzureichenden agilen Prinzipien im Rahmen einer Unternehmenstransformation zu verwenden.

Vielmehr ist es für agiler Coaches und Berater an der Zeit sich mit Organisationsphysik, Unternehmensführung und Organisationsentwicklung zu beschäftigen. So wird wirklich nachhaltige Arbeit möglich. Das ist die Basis für erfolgreiche agile Transformationen.  So können Unternehmen fit gemacht werden für die Marktanforderungen, die nicht erst morgen, sondern bereits heute an sie gestellt werden. Level up!

 
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