Pilotprojekte
Wieso die Transformation von Teilbereichen keine gute Idee ist.
Wieso die Transformation von Teilbereichen keine gute Idee ist.
Ein Artikel von Peter Pröll
Lektorat Anke Schaffrek
Lesezeit ca. 5 Minuten
Oft werde ich gefragt, ob es nicht sinnvoll ist, statt einer Transformation des gesamten Unternehmens nicht besser erst einmal einen Bereich oder eine Abteilung zu transformieren. Doch was auf den ersten Blick verführerisch, intelligent und gut klingt, birgt Tücken.
Wir sprechen in der Regel von Betriebsbereichen, die nicht eigenständig sind. Es handelt sich entweder um Produktion, um Entwicklung, Vertrieb oder Administration. Sie sind darauf angewiesen, mit den anderen Geschäftsbereichen eng zu interagieren. Führt man jetzt in einem solchen, abhängigen Bereich eine Transformation durch, so werden automatisch Systeminkonsistenzen erzeugt. Weiterhin erhält man lediglich „agile“ Produktion, Entwicklung, Administration oder "agilen" Vertrieb. Die notwendige Integration findet nicht statt.
In der agilen Softwareentwicklung wird dieser Ansatz dennoch regelmäßig praktiziert, wenn Scrum, Kanban, XP und Co eingeführt werden. Hier können wir sehr gut erkennen, welche Auswirkungen dieses Vorgehen hat:
- Eine echte Selbstorganisation, ein echtes Selbstmanagement gibt es nicht. Es ist immer und notwendigerweise limitiert und hat sich der zentralen Steuerung des Managements unterzuordnen. Damit ist auch die mögliche Potentialentfaltung und Wertschöpfung minimal.
- An der Grenze von agilen Teams zur nicht-agilen Organisation gibt es durch die Systeminkonsistenzen immer wieder einen Ausgleichsbedarf. Selbstorganisation beruht im Wesentlichen auf Teamverantwortung, auf Marktsteuerung und darauf, dass Entscheidungen dezentral dort getroffen werden können, wo sie anstehen.
Das immer noch zentral organisierte Unternehmen lässt das nicht zu. Es verlangt individuelle Verantwortlichkeiten auch in „agilen“ Teams und Steuerbarkeit durch die Geschäftsführung.
Tatsächlich ist eine Überwindung obsoleter Strukturen und Praktiken, und damit ein Wechsel zu dezentralen Strukturen, nur in einzelnen Unternehmensbereichen nicht möglich. Was wir erleben, ist eine Optimierung des zentralen Managements – keine Systemüberwindung. Der Begriff agile Transformation ist eine überhöhende und fehlleitende Bezeichnung. Es erfolgt lediglich eine Annäherung an Selbstorganisation und ein Biegen und Dehnen der weiterhin zentralen Unternehmenssteuerung. In agilen Frameworks sind die notwendigen Zugeständnisse an das Management fest eingebaut. Der Product Owner in Scrum sei als Beispiel genannt: eine Position mit einer zentralen Verantwortungsausgestaltung, statt einer dezentralen und gemeinschaftlichen Teamverantwortung.
- Wir finden auch Positionen, die für das kontinuierlich notwendige Biegen und Dehnen zentraler Strukturen sorgen müssen, ohne sie dabei zu brechen - allen voran Scrum Master und agile Coaches. Letztlich wird sogar an zwei Fronten gebogen und gedehnt: sowohl an den zentralen Steuerungsmechanismen, als auch an den individuellen Menschen, die man in einem solchen Umfeld durch Coaching, Kulturarbeit und Mindset-Schulung zurechtbiegen und ausrichten will.
Kurz: Es findet eine Management-Optimierung statt, die mit viel Aufwand Systeminkonsistenzen ausgleichen muss, die sie selbst erst schafft, und die im Gegenzug vergleichsweise wenig des vorhandenen Potentials freisetzt.
Ist kein Mandat oder die Autorisierung für die Transformation des gesamten Unternehmens vorhanden – wenn Sie zum Beispiel ein Team, eine Abteilung oder einen Bereich leiten – mag dieses Vorgehen gerechtfertigt sein. Gehen Sie überlegt und fachlich sauber vor. Es gilt zu biegen und nicht zu brechen. Seien Sie sich der Inkonsistenzen bewusst und gleichen Sie diese aus. Seien Sie sich bewusst, dass eine agile Transformation diese Bezeichnung im Grunde nicht verdient, sondern nur das Optimieren von bekanntem Management ist.
In der Position der Geschäftsführung sollten Sie jedoch darauf verzichten, einen anstrengenden, aufwändigen und teuren Weg einzuschlagen, der darauf beschränkt ist, bisherige Management-Praktiken zu optimieren und somit zu festigen, statt sie zu überwinden.
Es bleibt vielleicht das ungute Bauchgefühl, ohne Pilotprojekt ins kalte Wasser springen zu müssen. Ein Wagnis einzugehen. Ins Ungewisse aufzubrechen. Alles auf eine Karte zu setzen. So ein wenig wie Indiana Jones auf der Suche nach dem Heiligen Gral vor dem Abgrund zu stehen:
Die einzige Möglichkeit, die Sie hätten, ist voller Vertrauen darauf und im tiefen Glauben, unter Missachtung des gähnend-tiefen Abgrunds, den Schritt zu tun, und zu hoffen ... dass da eine Brücke ist, wo Sie aktuell noch keine sehen können.
Stopp! Nein! An der Stelle sind wir uns hoffentlich einig. Ein solches Vorgehen passt in ein Indiana-Jones-Epos, aber im unternehmerischen Kontext wäre es schlicht fahrlässig. Sie müssen selbst mit dem Thema dezentrale Unternehmensführung und Selbstorganisation „klar“ sein. Falsche Vorstellungen, nicht verstandene Dynamiken und Blauäugigkeit werden zwangsläufig zum Scheitern führen.
Dezentrale Steuerung und Betriebsführung müssen Sie jetzt genauso erlernen und verstehen, wie damals zentrales Management. "Einfach mal machen" ist keine Option. Wirklich, wirklich wollen und somit den Antrieb haben, sich selbst in die Thematik einzuarbeiten, ist durch nichts zu ersetzen.
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