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Wir wollen Teams!

Über Zusammenstellung, Passung und Koordination von leistungsfähigen Teams


 
Peter Pröll

Ein Artikel von Peter Pröll
Lektorat Anke Schaffrek

Lesezeit: ca. 10 min

 

Wenn junge Unternehmen langsam wachsen, gibt es eine „kritische Masse“, die spätestens bei 15 bis 20 Personen erreicht ist. Für bis zu 10 Personen ist die Abstimmung untereinander noch einfach, danach wird sie problematischer und ist ab 20 Personen im Rahmen zielführender Wertschöpfung nicht mehr oder nur noch begrenzt möglich.

Projekt-und-Personal-Tetris

In Unternehmen, in denen wir überwiegend von Projektgeschäft reden, beginnt an dieser Stelle das “Projekt-und-Personal-Tetris” mit dem Ziel, möglichst alle Kolleginnen beschäftigt zu halten. Dazu wird für die Laufzeit der Projekte und auf Basis der Verfügbarkeit und Kompetenz ein minimales Kernteam zusammengestellt. Weitere Kolleginnen werden den Kernteams nach Bedarf zugeteilt. Dieses Vorgehen hat seine Grenzen:

Es ist quasi nur möglich, wenn Projekte mit entsprechender Vorlaufzeit eingeplant werden können. Doch auch bei genügend Vorlaufzeit hält keine Planung der Kunden- und Projektrealität stand. 

Um Kolleginnen, die mit ihrer Kompetenz im Unternehmen unterbesetzt sind, entbricht dabei nicht selten ein Verteilungskampf unter den Projektverantwortlichen. Andere Kolleginnen, deren Expertise nur selten benötigt wird, haben hingegen längere Leerlaufzeiten. Das ist nicht nur ein wirtschaftliches Problem, sondern ist für die Betroffenen eine unbefriedigende Arbeitssituation mit entsprechenden Folgen für das Engagement.

Nicht zuletzt inspiriert durch agile Arbeitsweisen entwickelt sich die Einsicht, dass durch temporäre Kernteams mit immer wechselnden Zusatzbesetzungen die Produktivität und Qualität selbst bei guter Personalauslastung leidet. Der teilweise tägliche Wechsel in der Zusammenarbeit ist hochgradig energiezehrend. Trotz guter Personalauslastung sinkt die Rentabilität, teils dramatisch. Die Reibungsverluste übernehmen.

Wir wollen feste Teams!

In vielen Unternehmen überlegt man daher, den Weg zu cross-funktionalen Teams zu gehen. Teams, die am besten keine externe fachliche Abhängigkeit haben und sich mit anderen Teams um den Zugriff auf Experten streiten müssen. Was im Scrum-Guide vorgeschlagen wird, kann nicht so wirklich dumm oder gar kurzsichtig und realitätsfremd sein. Oder doch? Denn wie sieht es jetzt mit der Auslastung aller aus? Und was ist mit Spezial-Expertisen? Also solchen, die im Unternehmen notorisch unterbesetzt sind? Für die nicht genug Experten für jedes Team im Haus existieren? An dieser Stelle zeigt sich ein Nachteil von Frameworks und Blueprints überdeutlich.

Weiterhin sollen die Teams stabil zusammengestellt werden und über mehrere Projekte hinweg zusammenarbeiten. Dadurch verspricht man sich einen höheren Grad an Zusammenspiel, Zufriedenheit und Produktivität. Diese Gedanken sind nicht abwegig. Doch nun gilt es, für die Teams passende Projekte zu finden und sie auf diese zu verteilen. Aus dem Projekt-und-Personal-Tetris ist jetzt ein Projekt-und-Team-Tetris geworden. Wenn ein Kunde oder ein Projekt wegfällt oder kein passendes Projekt zur Verfügung steht, wie beschäftigen wir dann das Team? Oder lösen wir es doch wieder auf und sind so zurück beim alten Spiel mit befristeten Projektteams?

Es braucht Struktur ...

Ich kenne Unternehmen, welche ihr Tetris überschaubar halten, indem sie die Unternehmensgröße von 20 bewusst nicht überschreiten. Nichtsdestotrotz greifen spätestens ab circa 10 Personen schon hohe, unwirtschaftliche und unnötige Reibungsverluste, Überlastung oder Unterforderung sowie entsprechende Unzufriedenheit. Abgesehen davon wird die Unternehmensführung zum andauernden, zeitintensiven Jonglageakt.

Alle anderen Unternehmen jenseits der 20-Personen-Marke haben fast keine Wahl mehr. Sie müssen sich in irgendeiner Form strukturieren, um die Rentabilität und Operabilität zu sichern.

... und eine andere Logik.

In der bisherigen Logik und mit dem bisherigen Verständnis über Wirtschaftlichkeit, Produktivität, Personalauslastung, Personalkoordination und Projektplanung an diese Herausforderung zu gehen, wird aber keine Probleme lösen. Quasi jede beliebige Struktur, die man auf Basis dieser Logik wählt, wird immer wieder vergleichbare Probleme erzeugen. Meist sogar im skalierten Ausmaß, wie es das Beispiel vom Projekt-Team-Tetris illustriert.
 

Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.

Logik ist hier gleichbedeutend mit dem eigenen Verständnis, mit Annahmen und Hypothesen. Kurz: Mit Theorien, die man zu den einzelnen Themen vertritt. Sie sind die Basis unseres Handelns und prägen damit die Wirkung. Überprüfen wir die eigenen, meist unbewussten und sich oft sogar widersprechenden Theorien nicht, wird keine noch so sinnvolle Best Practice und kein noch so sinnvolles Framework helfen. Im Gegenteil. Ohne Bewusstmachung und Prüfung, ohne ein gemeinsames Verständnis der getroffenen Annahmen sind Best-Practice-Ansätze und Frameworks die Garanten für Verirrungen im Cargo-Cult.

Eine kurze Geschichte der Systemtheorie

Zu Frederick W. Taylors Zeiten vor gut 110 Jahren vertrat man weitestgehend die Theorie, Unternehmen seien mit Maschinen (oder moderner: Betriebssystemen) vergleichbar. Das hatte folgende Implikationen:

Sowohl das gesamte System als auch die einzelnen Teile sind in ihrer Wirkung und Interaktion vorhersehbar, also planbar und somit steuerbar. Mehr noch: Ohne die Steuerimpulse wird sich die Maschine bzw. das Unternehmen nicht (wirtschaftlich) bewegen. Mit entsprechenden Standards, Schnittstellen zwischen den Systemteilen und mit Prozessen lässt sich so die Systemperformance verbessern. Doch bereits in dieser technokratischen Sichtweise wird klar, dass die Passung zwischen den Systemteilen eine Grundvoraussetzung darstellt. Für das Management wurden von dieser Sichtweise folgende Praktiken abgeleitet:

Planung ist die Voraussetzung für Steuerung, Vorgabe und Führen. Und geplant wird auf Basis dieser Sichtweise quasi alles im Unternehmen. Kontrolle, also der Soll-Ist-Vergleich, ist die Konsequenz aller Planung. Neben der Passung geht es auch um die Optimierung der Systemteile. Dadurch erhielten Standardisierung, Prozessorientierung und Personalentwicklung Einzug.
 

Eine gute Theorie ist der Realität angemessen.

Was um 1911 beim Erscheinen von Taylors Werk „Scientific Management“ als der damaligen Realität angemessen erschien, war es bald nicht mehr. Menschen sind eben keine Maschinenteile. Und die Zukunft lässt sich nicht determinieren und planen. Verschiedene Einflüsse rund um und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg führten dazu, dass man sich eines Besseren besann und begann, Unternehmen mit lebendigen Organismen zu vergleichen. Das schlug sich deutlich in der Sprache nieder und ist auch heute noch im Sprachgebrauch zu finden, wenn man vom Kopf, dem Herzen oder der DNA eines Unternehmens spricht. In der Gesetzgebung fand es Einzug, in dem man Unternehmen als juristische Person definierte.

Dem Unternehmen als gesamtheitliches System sprach man eine Eigendynamik jenseits der unbedingten Steuerungsnotwendigkeit von Außen zu. Darüber hinaus begann man die Bedürfnisse der Systemteile (Angestellte) zu beachten. Die Erfahrung mit den “Rosies” in den USA im Rahmen des Zweiten Weltkriegs trug dazu einen entscheidenden Teil bei: Die gut abgesicherten Frauen der GIs mussten nicht mehr aus eigener, wirtschaftlicher Notwendigkeit arbeiten und machten eigene Interessen geltend, die es zu berücksichtigen galt, wollte man die Arbeitskräfte halten. Darüber hinaus wurde klar, dass sich Produktivität und Wertschöpfung nicht bei den Systemteilen, also nicht bei den einzelnen Mitarbeitern verorten ließen, sondern durch das gesamte System bestimmt wurde. Spätestens hier sollte das Ende der individuellen Zielvereinbarungen und individuellen Leistungsbewertungen markiert gewesen sein. Entscheidungen werden in einem lebendigen Organismus jedoch weiter vom Kopf her getroffen.

In einem dritten Schritt, den man in den 1950ern bis 1970ern verorten kann, hatte auch diese Theorie ausgedient. Spätestens seit Beginn der Globalisierung um die 1970er war es hin mit der Planbarkeit. Die Komplexität des Marktes nahm zu. Der Anforderung, rasch auf Veränderungen reagieren zu können, wird ein großer, immer noch zentral gesteuerter Organismus nicht gerecht. Die einzige „Sache“, die mit Komplexität umgehen kann, ist der Mensch – und dazu muss er in der Gemeinschaft handlungs- und entscheidungsfähig sein. Die Theorie des lebenden Organismus wurde entsprechend durch eine Sicht auf das Unternehmen als soziales System ersetzt. Auf Planung wird zugunsten von Vorbereitung verzichtet, das Individuum wird durch Selbstbestimmung gestärkt und (Achtung, spätestens jetzt wird es kontraintuitiv) mit der dadurch entstehenden Diversität wird die Gemeinschaft – sei es als Team oder ganzes Unternehmen – erst stark. Damit diese Vorteile zum Tragen kommen, erfordert dieser Paradigmenwechsel das Ende von Vorgabe und Kontrolle in der Wertschöpfung, das Ende vom Konzept der Führungskraft und eine konsequente Dezentralisierung der Entscheidungsstrukturen.

Wo stehen Sie?

Überprüfen Sie selbst, welches Dogma, welche Theorie Ihr Unternehmen bestimmt. Tatsächlich sind die meisten Unternehmen noch auf einem Theoriestand irgendwo zwischen 1911 und 1950, zwischen Maschine und Organismus. Immer wenn wir von Frameworks, Best Practice, Standards, Prozessen, Planung und Personalführung sprechen, können wir es deutlich erkennen. Das ist vergleichsweise so absurd, wie Astrophysiker, die immer noch einem geozentrischen Weltbild nachhängen und dies zur Grundlage ihrer Arbeit machen. 

Die Gründe für diese Absurdität sind vielfältig und mehr als nur einen Artikel wert. Sicher spielte damals bei der Formulierung des heliozentrischen Weltbildes die Unannehmbarkeit eine Rolle, dass die Erde und somit nicht der Mensch im Mittelpunkt der Schöpfung stehen solle. Im heutigen Falle des Systemverständnisses eines Unternehmens ist es vor allen Dingen unser Menschenbild, welches einen wesentlichen Einfluss auf unsere entsprechenden Theorien hat. Menschen und Teams, welche autonom und dezentralisiert ohne Teamlead, Vorgesetzte und Management entscheiden – sogar viel besser und zum Wohle des Unternehmens – diese Option will in viele Köpfe nicht so recht rein. „Das kann ich mir nicht vorstellen“, ist die ehrlichste und durchaus legitime Äußerung. Ein Interesse daran, dem auf den Grund zu gehen, ist jedoch selten. Unsere Erfahrung entspricht doch so gar nicht dieser Theorie - und das ist der Knackpunkt. Wir überschätzen unsere Erfahrung und unterschätzen den Wert, sich mit der Wissenschaft zu beschäftigen:
 

Jeder Manager betrachtet sich ganz selbstverständlich als sein eigener Sozialwissenschaftler. Seine persönlichen Erfahrungen mit Menschen von Kindheit an sind so reichhaltig, dass er kaum das Bedürfnis verspürt, sich anderswo nach Wissen über menschliches Verhalten umzusehen. Das Wissen des Sozialwissenschaftlers erscheint ihm oft als theoretisch und ohne Bezug zu den Realitäten, mit denen er zu tun hat, während sein eigenes Erfahrungswissen praktisch und nützlich ist. Dieser häufige, ungerechte Vergleich von Praxis und Theorie des Managements hat den Fortschritt in diesem Bereich stark behindert.

Das Hinterfragen eigener Annahmen, Erfahrungen und Sichtweisen, kurz: der eigenen Theorie und der Abgleich und die Orientierung an evidentem, aktuellen Wissen ist unabdingbare Voraussetzung. Ist ein sauberes Verständnis nicht gegeben, so wird es – egal mit welcher Struktur – immer einen Rückfall in die alten Probleme geben, die im Unternehmensbild als Maschine oder lebendiger Organismus verortet sind. Der erste Schritt ist nicht, sich mit den Symptomen vom Team-Tetris zu beschäftigen und nach einer Lösung zu suchen. Diese schnelle, “pragmatische” Lösung, eine Abkürzung sozusagen, gibt es nicht. Der erste Schritt muss immer sein, sich mit dem eigenen „Weltbild“, also der Theorie zu beschäftigen.
 

Es gibt nichts Praktischeres, als eine gute Theorie.

Ich kann nur dazu einladen, sich auch alltäglichen Problemen auf der Ebene von Theorien  anzunähern. Das ist der Weg, der Nachhaltigkeit und Wirksamkeit bietet. Es ist jedoch auch der, der Ernsthaftigkeit und Konsequenz fordert – und Bereitschaft, sein eigenes Weltbild zu prüfen. Gefällig wird es daher leider nicht. Interessant und spannend jedoch allemal.

Die Bedeutung für die Teamgestaltung

Was bedeutet dies nun für die Ausgangsfrage? Alles! Ihre Theorie bestimmt, wie Teams zusammengestellt werden und unter welchen Kriterien. Orientiert man sich an dem Stand der Wissenschaft, begreifen wir also Teams und Unternehmen als soziale Systeme, so ergibt sich daraus folgende Konsequenz:

  • Selbstorganisation und Entscheidungsautonomie im Team, sowie das größtmögliche Maß an Selbstbestimmtheit für jeden einzelnen sind keine Option, sondern müssen die Grundlage bilden. Unternehmen müssen sich dieser demokratischen Prinzipien annehmen. Alles steuernde, autokratische hat ausgedient.
  • Teams werden nicht gebildet. Es wird ein Rahmen geschaffen, in dem sie sich selbst bilden können. Es liegt in der Verantwortlichkeit des Rahmens, dass die Teams sich auch dem Zweck entsprechend ausrichten können. 
  • Ein solcher Rahmen wird durch passende Prinzipien und durch die explizite Definition des Unternehmenszwecks geschaffen. Auch Teams haben jeweils einen explizit definierten, sinnvollen Teamzweck.
  • Teams benötigen keinen Teamlead, keinen Kopf. Sie koordinieren sich sowohl intern, als auch in der Interaktion mit ihren Kunden und mit anderen Teams vollständig selbst. Auch hierzu bedarf es nur des richtigen Rahmens, basierend auf Prinzipien und selbst abgeleiteten Vereinbarungen und nicht etwa Steuerungskreise, PMO oder ähnliche, steuernde Elemente.
  • Teams richten sich an den Steuerungsimpulsen, am Pull des Marktes aus, nicht an einer Innensicht auf Koordination durch Führungskräfte. Marktorientierung, Baby! Nabelschau ist ein demotivierender, teurer Luxus, den wir uns nicht mehr leisten wollen!

Im Grunde erhöhen wir so die Komplexität, also die Lebendigkeit des gesamten Systems. Das mag – wenn man es noch nicht erfahren hat – hochgradig kontraintuitiv erscheinen. Doch wir erhöhen somit die Kommunikation und die tatsächliche Zusammenarbeit zulasten der künstlich gesteuerten Schein-Zusammenarbeit. Und das ist gleichzeitig der Trick. Stellen Sie sich vor, die Steine Ihres Tetris-Spiels würden untereinander dezentral kommunizieren und handeln. Sie müssten nicht mehr koordinieren. Was meinen Sie, was funktioniert besser, schneller, reaktiver, agiler, so schnell, dass man fast nicht mit dem Auge folgen kann? Menschen sind aber keine Tetris-Steine. Müssten Sie Tetris-Steinen das Kommunizieren und Kooperieren erst noch beibringen, so entspricht das beim Menschen bereits ganz seiner Natur. Out of the box. Er ist den Tetris-Steinen in jedem Falle noch weit überlegen! Wenn nur der Rahmen stimmt.
 


Weiterführende Literatur:

 
 

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